Die Spezialprise


Heinz war schon fast 30 Jahre auf seiner Zeche. Ein Bergmann durch und durch. Wie schon vier Generationen seiner Vorväter, hatte er seinen Beruf unter Tage von der Picke auf gelernt. Hitze, hohe Luftfeuchtigkeit, Lärm und Dreck machten ihm nichts aus. Für ihn gehörte das eben zur Arbeit tief unten im Bergwerk.

Aber heute war seine letzte Schicht vor dem wohlverdienten Sommerurlaub. Im ratternden Personenzug zum Schacht sitzend, erzählte Heinz seinen Kumpels, dass er morgen mit seiner Frau und den beiden kleinen Söhnen zu Oma Lisbeth eingeladen war. Kaffee trinken und ein kleiner Urlaubszuschuss für die zwei Bengels von Opa Heinrich standen auf dem Sonntagsprogramm. Und am Montag sollte es los gehen. Urlaub hier im Lande, mit dem Wohnwagen, den er sich von seinem Nachbarn Peter geliehen hatte. Kein Palast auf Rädern, aber für die vier groß genug. Raus in Gottes schöne Natur an die frische Luft. Den beiden Ablegern erst einmal etwas von Deutschland zeigen. Kumpel Hermann meinte, daß man einen richtigen Urlaub nur im Ausland machen kann. Da ist alles viel schöner und die Sonne ist auch eine andere. Für Hermann und seine Familie sollte es in diesem Jahr nach Italien gehen. Soll er doch fahren, wenn es ihm Spaß macht, dachte sich Heinz. Wir werden auch einen tollen Urlaub verbringen. Nach der Seilfahrt zum Tage noch Lampe und Filter ins Regal legen. Schichtende, ab in die Schwarzkaue, den Haken herunter lassen, mit den Kumpels der nachfolgenden Schicht über die Arbeit sprechen und in aller Ruhe eine Prise nehmen. Ja, wenn Heinz bei seinen Kollegen für etwas bekannt war, dann für seinen Schnupftabak. Heinz nahm nicht den trockenen Mutterboden, den man an der Bude gegenüber dem Zechentor kaufen konnte, sondern mischte seine Prise aus vielen verschiedenen Zutaten. In einem besonderen Verfahren und einer einzigartigen Mischung wurde die Prise zu Hause zusammen gestellt. Sein Geheimrezept verriet er niemandem.

Unter der Dusche beim Puckeln fiel Heinz auf, dass Hermann gar nicht mehr da war. “Wo ist den Hermann geblieben“, fragte er. Kumpel Günter antwortete: “Der ist schon weg - in Arbeitszeug - ohne duschen. Der wäscht sich im Auto. Seine Frau und der Sohnemann haben ihn abgeholt , die sind schon unterwegs in den Urlaub. Nur keinen Urlaubstag verlieren, kennst ihn doch. Hermann will unbedingt morgen früh in Genua auf  die Fähre.“ Heinz dachte sich: Das kann doch nicht wahr sein, aber jedem Tierchen sein Pläsierchen.

Heinz und seine Familie verbrachten den Sonntagnachmittag bei Oma und Opa, wie es ausgemacht war. Gegen Abend lud Heinz schon einmal die Sachen in den Wohnwagen, die in den Urlaub mitgenommen werden mussten. Handtücher, Bettzeug und Kleidung mussten eingepackt und der kleine Kühlschrank aufgefüllt werden. Montagmorgen. Jetzt konnte nichts mehr schief gehen. Kurz noch einmal nachgedacht: Haben wir etwas vergessen? Sind Strom und Wasser abgestellt? Hat Nachbar Peter den Schlüssel für die Wohnung zum Blumen gießen? Ist genug Schnupftabak im Gepäck? Sind die Kinder im Auto? Ja, alles klar. Heinz fuhr auf die Autobahn in Richtung Süden. Schön gemütlich. Er hatte keine Eile sondern Urlaub. Sein Ziel war der kleine aber feine Ort Rhens am romantischen Rhein. Als Heinz ein kleiner Junge war, hatte ihn Opa Heinrich in seinem „Schneewittchensarg“ (Messerschmidt Kabinenroller) dorthin mitgenommen. Beiden hatte es damals gut gefallen. Jetzt war Heinz mit seiner eigenen Familie hier und konnte seinen Jungs die vielen Burgen und Sehenswürdigkeiten zeigen. Schnell war der Wohnwagen mit dem Vorzelt aufgebaut. Die ersten Tage des Urlaubs vergingen wie im Fluge. Als Heinz am dritten Tag mit seiner Familie von einer Burgbesichtigung zurück zum Wohnwagen kam, wunderte er sich nicht schlecht. Irgend jemand hatte ein Zelt direkt vor seiner Wohnwagentür aufgebaut. Der Eingang war versperrt. „Hallo, Kumpel! Das Zelt muss aber hier weg, sonst komme ich nicht mehr in meinen Wohnwagen“, rief Heinz den Neuankömmlingen zu. „Ja, mei, den setz ma es eben halt um“, war die Antwort. Oh je, ein bayrischer Mitmensch, dachte Heinz bei sich. Mit der Hilfe von Heinz war das Zelt sehr schnell umgesetzt. Mit den Worten: “Mogst an Schmalzler“, hielt der Bayer Heinz eine formschöne Schnupftabakflasche unter die Nase. „Warum nicht“, sagte Heinz. Wie er es von unter Tage gewohnt war, krümmte Heinz seine linke Hand ein wenig und mit der rechten Hand schüttete er in vollen Schüben den Schnupftabak auf den Handrücken. Wie automatisch klemmte er ein wenig des rauchlosen Tabaks zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand ein und führte sie zur Nase. Ein ordentlicher Zug und die Prise war in der Nase. „Ja, da leckst mi do am Arsch, des hab i noch niea g`sehn“, sprudelte es aus dem Mund des bayrischen Urgesteins. „Und nit anol niersen mus a.“ Heinz erwiderte gelassen: „Wieso, was ist denn? Das, was du da in deiner Flasche hast, habe ich in einer Schicht weggeschnupft. Ich bin das gewohnt. Ich arbeite unter Tage.“ Mit einem herablassenden Blick drehte sich der Herr, der eine original bayrische Lederhose trug, nach hinten zu seinem Zelt um und rief höhnisch: „Frau, der Mann is im Bergbau.“ Das hätte er vielleicht nicht in dieser Art tun sollen, denn Heinz war zutiefst in seiner Ehre als Bergmann verletzt. Freundlich erwiderte Heinz: „Ich habe meine Prise im Wohnwagen. Davon kann ich gleich gerne eine zum probieren geben.“ „Ja mei`“, war die Antwort. Schon war Heinz im Wohnwagen verschwunden und nach einiger Zeit mit seiner Prisenpulle zurück. „Hier, die ist ganz etwas besonderes. Die beste die ich kenne, von mir selbst gemischt. Die nehme ich jeden Tag“, bot Heinz seine Prise an. Der süddeutsche Landsmann wollte Heinz wohl in nichts nachstehen und verteilte eine große Menge der guten Prise auf seinem Handrücken. Mit einem Zug war der Tabak in der Nase verschwunden. Doch plötzlich gab es für den Lederhosenträger kein halten mehr. Seine Nase wechselte in wenigen Sekunden mehrfach die Farbe von grün über blau in rot. Die Tränen schossen ihn in die Augen und eine Niesattake jagte die andere. „Jo wos is des den für a Zeig“, fragte der arme Bayer nach Luft ringend. „Das ist die beste Prise die es gibt“, antwortete Heinz. Jetzt war seine Ehre als Bergmann wieder hergestellt. „Magst du die nicht“, fragte Heinz scheinheilig nach. „Na!!!“ , war die Antwort. Man grüßte sich noch freundlich und jeder ging seiner Wege.

Der Tag neigte sich dem Ende zu und Heinz saß mit seiner Familie im Vorzelt beim Abendessen. Der Ausflug an nächsten Tag sollte geplant werden. Die Frau von Heinz meldete sich zu Wort: „Egal, was wir morgen unternehmen. Auf jeden Fall müssen wir noch einkaufen, vor allem diesen scharfen Pfeffer, Majoran und noch andere Gewürze. Die hast du nämlich alle in deine Spezialprise getan und dem Herrn aus Bayern angedreht“. 

So sind eben die Leute im Ruhrgebiet: Immer für einen Spaß zu haben, wenn es gilt die Ehre zu retten.

 Mit bergmännischem Gruß

Thomas Frank